Kinder sind für Eltern eine Herausforderung. Vor allem Eltern von nichtverbalen oder sehr verhaltensauffälligen autistischen Kindern haben häufig Angst, an der Aufgabe zu scheitern, ihre Kinder auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten. Es ist verständlich, dass viele Familien mit einem autistischen Kind nach jedem Strohhalm greifen (siehe auch Was ist Autismus?).
ABA ist eine Therapieform, die verspricht, dem autistischen Kind die Fähigkeiten beizubringen, die es für ein späteres, möglichst selbstbestimmtes Leben braucht. ABA wurde nicht speziell für Autisten entwickelt, findet aber in der Behandlung von Autisten überwiegend Anwendung.
Befürworter*innen von ABA betonen den Erfolg der Therapie. Kritiker*innen bemängeln, dass die Bedürfnisse des autistischen Kindes vernachlässigt werden und ein nicht angemessener Zwang ausgeübt wird. Die Aktion Mensch hat die Förderung von ABA-Projekten nach massiver Kritik eingestellt.
Was ist ABA?
ABA steht für Applied Behaviour Analysis, zu deutsch: Angewandte Verhaltensanalyse. Durch operante Konditionierung, also die Verstärkung des gewünschten Verhaltens durch ein Belohnungssystem, sollen die Patient*innen einen Entwicklungsprozess durchmachen. Am Ende steht im Idealfall – zumindest aus Sicht der ABA-Anwender*innen – ein Therapie-Erfolg in Form eines autistischen Menschen, der sich möglichst unautistisch in den Alltag integriert.
Während beispielsweise das Stimming vielen Autist*innen hilft, sich in Stress-Situationen zu beruhigen (vergleichbar mit der „Zigarette für die Nerven“, nur ohne die gesundheitsgefährdenden Nebenwirkungen), möchten manche Therapeut*innen autistischen Kindern das Stimmen abtrainieren.
Zusammengefasst zielt ABA darauf ab, beim Kind mit einem Belohnungssystem unauffälliges, von Eltern und Therapeuten definiertes normales Verhalten zu fördern. Setzt das Kind einen autistischen Verhaltenszug fort oder verweigert die Kooperation, bleibt auch die Belohnung aus.
Die Kritik an ABA
Die ABA-Therapie ist sehr umstritten.* Vor allem erwachsene Autist*innen kritisieren, dass der Autist an eine willkürliche gesellschaftliche Norm angepasst werden soll. Kritiker*innen bemängeln, dass dabei die Persönlichkeit des Autisten außer Acht gelassen wird.
Sie wünschen sich gegenüber Autist*innen einen Zugang, wie ihn die Serie The Big Bang Theory findet: „Interessant aber auch süß ist, dass wir unsere Figuren nicht pathologisieren. Wir sprechen nicht davon, sie medizinisch zu behandeln oder sie überhaupt wirklich zu verändern. Und ich denke, das macht es interessant für diejenigen, die im wahren Leben unkonventionell sind – wir finden Wege, das zu umgehen. Es muss nicht immer gelöst und behandelt und betitelt werden.“ (siehe auch Ist Sheldon Cooper ein Autist?)
Das Gegenteil – so die Kritiker*innen – sei bei ABA der Fall. Autistisches Verhalten werde wegkonditioniert und unterdrückt. Statt das direkte Umfeld inklusiv zu gestalten, wird der Autist „zwangsintegriert“. So wird zum Beispiel häufig empfohlen, die Therapie über die gesamte Wachphase des Kindes mit „systematischen Erfolgskontrollen“ aufrecht zu erhalten. „Die Auswirkungen auf die langfristige Lebensqualität austistischer Menschen lesen sich ernüchternd“, heißt es auf Spektrum.de. Aufgrund der Kritik aus der Autisten-Community stellte die Aktion Mensch die Förderung von ABA-Projekten ein.
ABA-Befürworter*innen halten dagegen, dass der Therapie-Erfolg wissenschaftlich belegt sei – eine Tatsache, die kritische Stimmen nicht grundsätzlich bestreiten, schließlich habe klassische Konditionierung nachweislich Erfolg, der sei aber womöglich „in hohem Maße ethisch fragwürdig“. Jedoch seien die erhobenen Stichproben meist viel zu klein, um als empirisch belastbarer Beleg zu gelten. Auch wird die Wissenschaftlichkeit von ABA grundsätzlich in Frage gestellt.
Ein Argument der Befürworter*innen lautet, dass ABA der Gesellschaft spätere Folgekosten erspare. Es gibt für diese Behauptung keinen empirischen Belegs; das generelle Problem mit der Aussage, dass psychisch Kranke finanziellen Schaden verursachen, wird hier beleuchtet.
Die Tatsache, dass ABA ein weites Feld unterschiedlicher Therapie-Ansätze und Anwendungen ist, trägt dazu bei, dass ABA-Anwender*innen sich häufig zu Unrecht kritisiert fühlen. Das gehört zum Problem: Der „ABA-Therapeut“ ist keine geschützte Ausbildung. Es gibt keine behördliche Kontrolle und keine Kammer, die die Therapeuten beaufsichtigt.
Die Befürwortung von ABA auf Seiten von Eltern autistischer Kinder ist hoch. Wie eingangs erwähnt, suchen sie nach Unterstützung in der Erziehung. ABA ist in der Lage, kurzfristige Erfolge zu liefern. Über die Langzeitwirkung auf die Psyche des Kindes weiß man indes noch nichts. Ein weiteres Problem, wie die Bloggerin Das Fotobus feststellt: „Die meisten positiven Berichte jedoch kommen von Eltern und Anbietern, nicht von Autisten selbst.“
Unbestritten haben die meisten Eltern das beste im Sinn für ihre Kinder. Doch aufgrund des Wildwuchses in der ABA-Landschaft und der fehlenden Regulierung befürchten Interessenvertretungen, dass zu häufig eine Therapie zur Anwendung kommt, die dem Kind „kaum Gelegenheit zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung lässt … dass auf den Willen des autistischen Menschen keine Rücksicht genommen wird und die von diesem Menschen zu erreichenden Ziele fremdbestimmt sind.“
Ohne jeden Zweifel ist es gut und richtig, autistischen Kindern Förderung und Hilfe hinsichtlich eines selbstbestimmten Lebens zukommen zu lassen. Interessierte Eltern sollten dabei zu jeder Zeit die Interessen, die Persönlichkeit und Würde des Kindes im Blick behalten.
Alternativen zu ABA
Hinter dem Wunsch nach einer ABA-Therapie steckt häufig eine Überforderung mit der Neurodiversität des Kindes und die Hoffnung, dem Kind die besten Chancen bieten zu können. Dabei kann ein Austausch mit erwachsenen Autist*innen oder mit anderen Eltern bereits eine große Hilfe sein. [inlinetweet prefix=““ tweeter=““ suffix=““]Nicht der Autist muss sich hundertprozentig anpassen, sondern das Umfeld muss lernen, den Autisten zu verstehen[/inlinetweet], wie es so schön im Film „The Accountant“ heißt. Autimus-Experte Tony Attwood sagt:
Es ist unglaublich wichtig, dass die Eltern betroffener Kinder die Gelegenheit haben, Familien zu begegnen, die dieselben Erfahrungen und Probleme haben wie sie selbst; denn dadurch fühlen sie sich weniger isoliert. Auch bietet eine solche Gruppe die Möglichkeit, Meinungen über Fördereinrichtungen auszutauschen und Spezialisten einzuladen.
In vielen Städten (z.B. Rosenheim) gibt es solche Selbsthilfegruppen.
Weiterlesen: Kritische Stellungnahme des Vereins Autismus Mittelfranken • Antwort eines Anbieters
*) Transparenz: Die Herausgeber*innen von AutismusFAQ gehören zu den kritischen Stimmen in Bezug auf ABA
